Kategorie: Zukunft gestalten

Den Wandel demokratisch gestalten

Artikel
Yihang Xiong

Der Klimawandel stellt zweifellos eine der grössten Herausforderungen der modernen Zeit dar. Angesichts dessen lautet die zentrale Frage: Ist es möglich, die erforderlichen Massnahmen zur Bewältigung der Klimakrise auf demokratische Weise umzusetzen? Um dieser Frage nachzugehen, veranstalten der Thinktank „Denknetz“ gemeinsam mit der Anny-Klawa-Morf-Stiftung, eine dreiteilige Online-Reihe. In der Auftaktsitzung diskutierten der Politikwissenschaftler und Philosoph Felix Heidenreich von der Universität Stuttgart und Pascal Zwicky vom Denknetz über das Verhältnis von Demokratie und Zukunft.

Mangel an einer klaren Zukunftsvision

Heidenreich begann seine Ausführungen mit einem Beispiel von Masha Gessen: In ihrem Buch „The Future is History“ beschreibt diese die  These, dass in autoritären Regimen, die es selber nicht schaffen, eine plausible und attraktive Zukunftsvision zu entwickeln, oft die verklärte Vergangenheit als neue Zielgrösse der Zukunft imaginiert wird. Diese wird genutzt, um die  Bevölkerung von aktuellen Missständen abzulenken. Als Beispiele nannte er das Russland Putins oder die Türkei Erdogans.

Demgegenüber scheint die Entwicklung einer gemeinsamen Zukunftsvision in Demokratien oft zu fehlen. Dazu ist in Demokratien aufgrund der zahlreichen Krisen laut Heidenreich die Zuversicht auf eine bessere Zukunft teilweise verloren gegangen. Derzeit scheint jeder Tag schlimmer zu werden als der vorherige, und der Pessimismus wächst. Dieser Mangel an Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat laut Heidenreich viele Gründe.

Hier war es Heidenreich wichtig, den Begriff Zukunft zu klären. Neben der Bedeutung dessen, was tatsächlich eintreten wird, wie etwa Prognosen zum Klimawandel, bezeichnet Zukunft hier für ihn auch die Vorstellungen und Erwartungen darüber, was passieren könnte, also Zukunftsbilder und Zukunftsvorstellungen der Gesellschaft, wie sie sich etwa in der Populärkultur in Filmen niederschlägt, in der mögliche Zukünfte imaginiert werden.

Neben offensichtlichen Gründen wie der zunehmenden Klimakrise tragen für ihn auch demographische Probleme nicht dazu bei, eine bessere Zukunft zu gestalten. Dabei beruft er sich auf die Analysen des bulgarischen Politologen Ivan Krastev zu Emigration im postkommunistischen Europa. In Ländern, in denen in den letzten Jahren ein grösserer Teil der Bevölkerung emigriert ist, beispielsweise Polen, Rumänien und Bulgarien, verstärkt dies die pessimistische Stimmung für diejenigen, die zurückbleiben müssen. Sie hätten laut Heidenreich einen zuversichtlichen Ausblick in Zukunft verloren, da mit jeder jungen Person, die das Land verlassen würde, auch ein Stück Zukunft aus dem Land verschwinden würde. Er nutzt dieses Beispiel, um ein Grundgefühl zu beschreiben, im dem sich eine grosser Teil der Bevölkerung die Vergangenheit als Zukunft zurücksehnt. Zuversicht in die Zukunft, so sein grösserer Punkt zum Thema, würde in europäischen Demokratien teils zur Mangelware.

Auch Infrastrukturprojekte spiegeln dieses Problem wider. Sie würden eigentlich das Potential bergen, in politischen Gemeinschaften kollektive Zuversicht zu produzieren. Projekte wie der Berliner Flughafen und die Elbphilharmonie in Hamburg zeigen die Schwierigkeiten beim Aufbau einer zukunftsfähigen Infrastruktur. Das sind für ihn Beispiele wo man sagen könnte, die Gesellschaft führt sich selbst anhand von kollektiver Architektur vor Augen, dass sie Probleme im Bauen der Zukunft hat. Das ist ein Versuch diese Krise der Demokratie nochmals anders zu verstehen und auch nochmals einen anderen Blick auf das Phänomen Populismus und Autoritarismus zu werfen, etwa in dem sich der Populismus in den USA mit «Make America Great Again» klar auf die Vergangenheit beruft. Damit, so Heidenreich, würde das Bedürfnis gezeigt, die Zuversicht in die Zukunft, die in vergangenen Dekaden vorgeherrscht hätte, zurückzubekommen. Für die Demokratie wäre es dann wichtig,das bessere Gegenangebot zu unterbreiten mit einer Zukunftsvision, die nicht rückwärtsgewandt, sondern progressiv wäre.

Die Ziellosigkeit ist gefährlich für das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie. In einer Demokratie ist es von entscheidender Bedeutung, klare Ziele zu setzen. In Deutschland beispielsweise ist es zwar klar, dass der Verkehr irgendwie fliessen sollte, jedoch fehlen klare Ziele oder Pläne für die Zukunft. Die

Der Mangel an einer Vorstellung einer besseren Zukunft wirkt sich negativ aus, indem er das Gefühl der Machtlosigkeit in der Bevölkerung verstärkt und den Glauben daran schwächt, dass wir als Gesellschaft in der Lage sind, grosse Probleme zu lösen, wie etwa die Klimakrise.

Privatisierung der Zukunft

Einen weiteren Trend sieht Heidenreich in dem, was er „Privatisierung der Zukunft“ nennt . Widerspiegelt sieht er das etwa in den Bunkern von amerikanischen Milliardären, die als Absicherung für den Fall von Katastrophen dienen, aber nur für einzelne, nicht für die Gemeinschaft. So gäbe es eine Ungleichverteilung in der Zuversicht in die Zukunft: Die Zukunftserwartungen wären ungleich verteilt. Während Reiche sich eine positive Zukunft leisten und sich deswegen auch eher eine zuversichtliche Haltung zur Zukunft entwickeln könnten, könnten weniger Vermögende nichts oder nur sehr wenig von der Zukunft erwarten. Dabei hat gerade die Corona-Pandemie verdeutlicht, dass grosse Probleme, die viele Menschen betreffen, wie die öffentliche Gesundheit, keine privaten Angelegenheiten sind, sondern gemeinsam angegangen werden müssen.

Aktuell scheint für Heidenreich aber die gemeinsame Zukunft vernachlässigt zu werden, während die individuelle Zukunft stärker betont wird – auch das ein Erbe des Neoliberalismus Trends wie Selbstoptimierung durch Fitnesspläne oder private finanzielle Planung fokussieren sich mit extrem viel Aufwand und Planung auf die individuelle Zukunft, aber haben wenig mit der Gemeinschaft zu tun. Diese individuellen Zukunftspläne erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Für Heidenreich ist das eine Art Kompensationsverhältnis: Gerade wenn Personen sich zunehmend machtlos gegenüber der kollektiven Zukunft fühlen und auch gar keine Vorstellungen diesbezüglich mehr entwickeln, wird umso mehr Wert auf Erfahrungen und Zukunftspläne gelegt, wo Selbstwirksamkeit noch spürbar ist, wie eben beispielsweise Bodybuildung.

Die heutige Gesellschaft betrachtet Heidenreich als „Verbraucher-Demokratie“, in der Einzelne durch ihr Konsumverhalten abstimmen. Die Reichen, die über mehr Kapital und Vermögen verfügen, haben einen grösseren Einfluss auf demokratische Prozesse, was das Vertrauen in die Demokratie aufgrund mangelnder Transparenz beeinträchtigt.

Wie kann die aktuelle Demokratie verändert werden, um das Klimaproblem zu bekämpfen?

Um die Hoffnungslosigkeit bezüglich der Zukunft zu überwinden, ist es entscheidend, einen klaren Zukunftsplan zu entwickeln. Das Konzept des „Futuring“, das aus der Stadtplanung in den Niederlanden stammt, bietet einen vielversprechenden Ansatz. Dabei kommen Bürgerinnen und Bürger zusammen, um gemeinsam eine Zukunftsvision für ihren Stadtteil zu entwickeln und konkrete Massnahmen zu erarbeiten. Solche Projekte stärken das Gefühl der Beteiligung an der Politik und fördern eine klare Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft.

Es gibt zahlreiche Lösungen für das Problem des mangelnden bürgerschaftlichen Engagements in der Politik. Zwangsmethoden wie die Wahlpflicht sind für Heidenreich eine mögliche Lösung, um die Beteiligung der Bevölkerung an der Politik zu erhöhen. Allerdings muss dabei eine Balance zwischen individueller Freiheit und Bürgerpflicht gefunden werden. Subtilere Methoden wie Bildungsmassnahmen oder öffentliche Diskussionen können ebenfalls dazu beitragen, die politische Kultur zu stärken und die politische Teilnahme der Bevölkerung zu erhöhen.

Demokratien leiden oft darunter, dass der Fokus auf dem Gewinn der nächsten Wahl liegt, anstatt langfristige Politik zu betreiben. Um dieses Problem anzugehen, muss die langfristige Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz in die gesetzliche Regierungsstruktur integriert werden. Dies könnte beispielsweise durch die Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung oder die Schaffung von Bürger:innen- oder Expert:innenräten geschehen, die langfristige und nachhaltige Politikziele formulieren und umsetzen. Solche Massnahmen würden für Heidenreich nicht nur die politischen Prozesse transparenter machen, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie stärken.

Schluss

Die aktuelle Aussicht auf die Zukunft mag düster erscheinen, doch wir verfügen über zahlreiche potenzielle Lösungsansätze, so Heidenreich. Frustrierend ist für ihn, dass trotz dieser Vielfalt an innovativen Lösungen zunächst eigentlich aus der Zeit gefallene Probleme wie der Krieg in der Ukraine  angegangen werden müssen, bevor wir gemeinsam das dringende Klimaproblem lösen können. Es liegt an uns, so schloss Heidenreich die Veranstaltung, diese Hindernisse zu überwinden und uns darauf zu konzentrieren, die drängenden Herausforderungen anzugehen, um eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft für kommende Generationen zu schaffen.

Über den Autor Yihang Xiong besucht gegenwärtig die Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen.

Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Anny-Klawa-Morf-Stiftung.

Blogbeiträge zur Reihe „Baustellen der Demokratie“ 2023

Artikel Anny-Klawa-Morf-Stiftung
Nadine Honegger

Hier findet ihr eine Zusammenfassung aller Veranstaltungen unserer Reihe "Baustellen der Demokratie" in den Kantonen Basel-Stadt und Baselland im Jahr 2023.

Populismusmehrheiten in der Demokratie
Renaissance des Sozialliberalismus?
Faktenleugner*innen und die Demokratie
Globalisierte Wirtschaft – globalisierte Demokratie
Medien unter Druck?
Enttäuschte Bürger*innen und die Reaktion der institutionalisierten Demokratie – Erfahrungen aus drei Ländern.
Politik jenseits von links und rechts?
Parteien, Bewegungen und Demokratie in Frankreich seit 2017

Populismusmehrheiten in der Demokratie

23. März 2023 | 18.30 Uhr | kHaus, Turmzimmer I Basel

In dieser Diskussion debattierten die österreichische Rechtsextremismus-Forscherin und Publizistin Natascha Strobl und Damir Skenderovic, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg, über Populismus und die Auswirkungen dessen konfrontativen Politik und Rhetorik auf die Demokratie. Moderiert wurde das Gespräch von Kaspar Surber (WOZ).

Der Historiker Damir Skenderovic vertrat einerseits die Ansicht, dass der Vormarsch der Rechtspopulisten sich in verschiedenen europäischen Ländern seit den 1968er Jahren parallel aufgebaut hätte, z.B. mit der Nouvelle Droite in Frankreich, der Ausserparlamentarischen Opposition (APO) in Deutschland, James Schwarzenbach und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in der Schweiz. Andererseits zeigte Skenderovic auf, dass ein Vergessen des zweiten Weltkrieges und der Grauen des Holocaust ein Erstarken der rechten Bewegungen möglich gemacht haben. Natascha Strobl schuf als Publizistin den Begriff des „radikalen Konservatismus“ für die Beschreibung verschiedener Bewegungen im rechten politischen Lager. Als Beispiele dafür nannte sie den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Diese radikalen Konservativen seien nicht in dem Sinne konservativ, als dass sie bewahren wollen, sondern sich durch Provokationen von den anderen konservativen Parteien abheben wollen. Dabei ginge es hauptsächlich um Aufmerksamkeit um jeden Preis, denn auch die negativen Schlagzeilen verleihen den Politiker*innen Popularität. Den Grund für die Wahl von Donald Trump sieht sie z.B. in der prekären Lage der Demokratie, da er vor allem auch gewählt wurde, weil er schlicht anders als die bisherigen Politiker*innen war.

Handlungsmöglichkeiten
Natascha Strobl forderte, dass die Tabubrüche, die die Rechtspopulist*innen initiieren und die damit verbundene Aufmerksamkeitsspirale durch Journalist*innen reflektiert und gebrochen werden sollten. Durch die Tabubrüche kämen die Linken und liberalen Parteien in eine Rolle, in der sie die Demokratie und die demokratischen Regeln dauernd verteidigen müssten. Dies sei sehr wichtig, aber es müsse auch ein neuer Weg gefunden werden, da die bisherige Demokratie auch nicht für alle Gruppen gleich gut funktionierte und krisengeschüttelt sei.
Damir Skenderovic thematisierte, dass in Deutschland die Diskussion geführt wird, wie mit den Rechtspopulist*innen umgegangen werden kann und eine klare Abgrenzung ein Thema ist. In der Schweiz hingegen ist die SVP nun die wählerstärkste Partei und Teil der Regierung, da die anderen Parteien auch in Regierungskoalitionen Kompromisse machen. Er forderte einen reflektierten Umgang mit den Rechtspopulist*innen.

Renaissance des Sozialliberalismus?

26. April 2023 |19.00 | Cheesmeyer |Sissach

Nach einem Inputreferat von Politologe Urs Bieri (Co-Geschäftsführer gfs.bern) diskutierten alt Nationalrätin Anita Fetz (alt Ständerätin SP) und René Rhinow (als Ständerat FDP) über Möglichkeiten und Unwägbarkeiten einer sozialliberalen Kooperation. Moderiert wurde das Podium von Philipp Loser (Tagesanzeiger).

In seinem Inputreferat ging Urs Bieri der Frage nach, was «sozialliberal» eigentlich heisst, und nahm das Publikum auf eine Reise durch die Geschichte sozialliberaler Kooperationen in der Schweiz mit. Der Sozialliberalismus, so Bieri, sei der Versuch, Freiheit und Eigenverantwortung in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft zu bewahren. In einer «Koalition der Vernunft» paktierten FDP und SP (teilweise auch mit der CVP) in den 1990er-Jahren immer wieder, um so politisch austarierte Lösungen mit sowohl sozialer als auch liberaler Prägung zu entwickeln, etwa in der Ausarbeitung der bilateralen Verträge nach dem Nein zum EWR. Allerdings verliessen beide Parteien diese für die FDP eher nach links und für die SP eher nach rechts orientierte Strategie wieder – Wahltechnisch war sie kein Erfolg.

Mit Anita Fetz und René Rhinow debattierten anschliessend zwei Personen aus den beiden Parteien, die dem Konzept durchaus etwas abgewinnen konnten. Rhinow stellte klar, dass seine Haltung stets gewesen sei, dass die FDP auch die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Schweiz ansprechen müsse. Und Anita Fetz betonte die Zusammenarbeit mit der FDP in Europafragen in der Vergangenheit.

Handlungsmöglichkeiten
Klar wurde am Podium aber auch, dass die beiden Parteien aktuell keine sozialliberale Haltung mehr vertreten würden – was beide Podiumsteilnehmende bedauerten, da sie in der verstärkten überparteilichen Zusammenarbeit Möglichkeiten für Kompromisse in grossen Fragen der Schweizer Politik sehen würden. Grosse Reformen, so der Tenor, hätten es heute in der Schweiz weniger schwer, wäre der Sozialliberalismus noch stärker.

Faktenleugner*innen und die Demokratie

23. Mai 2023 | 19.00 Uhr | Lesesaal I Kantonsbibliothek Liestal

Ausgehend von Ken Jebsens berühmtem Fall und dem preisgekrönten Podcast „Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?“ fragte diese Veranstaltung nach den Zusammenhängen zwischen zunehmend umstrittenen Fakten, dem Einfluss der sozialen Medien und dem Erfolg von Verschwörungsideologien. Es diskutierten Tobias Bauckhage (Mitproduzent des Podcasts) und Marko Kovic (Publizist) mit der Moderatorin Monika Waldis (Zentrum für Demokratie Aarau).

Im sechsteiligen Podcast «Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?» ging dessen Produzent Tobias Bauckhage einerseits der Frage nach, was mit dem ehemals jungen, anarchischen Journalisten Ken Jebsen passiert ist, da er sich zu einem Verschwörungstheoretiker mit riesiger Reichweite entwickelt hatte, der Falschinformationen verbreitete und antisemitische Bemerkungen machte. Andererseits fragten sich die Produzenten wer von ihm und der Verbreitung seiner Theorien profitierte. Dabei kamen die Produzenten zum Schluss, dass Jebsen auch Teil einer russischen Desinformationskampagne gewesen ist, um westliche Gesellschaften zu destabilisieren.
Der Sozialwissenschaftler und Journalist Marko Kovic beschrieb, dass die Corona-Thematik in den Kanälen der Corona-Massnahmenkritiker*innen langsam vorbei sei, jedoch durch das Thema des Ukraine-Krieges ersetzt werde. Dabei würden Theorien darüber erzählt, dass die westlichen Medien Lügen verbreiten würden, korrupt und unterwandert seien. Es werden auch prorussische Propaganda und Verschwörungstheorien geteilt, wie z.B. des Verschwörungstheoretikers Daniele Ganser, der behauptet, die Revolution 2014 in der Ukraine sei in Tat und Wahrheit ein Putsch des Westens gewesen.

Handlungsmöglichkeiten
Tobias Bauckhage thematisierte die Verantwortung der Medienhäuser und forderte diese auf Verschwörungstheoretiker*innen nicht dauernd zu zitieren und ihnen keine Plattform zu geben. Marko Kovic erklärte weiter, dass auch das Internet und soziale Plattformen reguliert werden müssen, da es der Ort sei, wo die Theorien verbreitet werden. Ausserdem seien die Journalist*innen im Umgang mit Verschwörungstheoretiker*innen in einer neuen Situation. Es könne nicht neutral über beide Perspektiven berichtet werden, da es sich auf der einen Seite um Falschinformationen handelt und diese damit weiterverbreitet würden.

Globalisierte Wirtschaft – globalisierte Demokratie

21. Juni 2023 | 18.30 Uhr | kHaus Basel

Nach einem Inputreferat von Podium Franziska Korn (Friedrich-Ebert-Stiftung) diskutierten Seraina Patzen (Konzernverantwortung.ch) und Ximena González (Anwältin und Menschenrechtsaktivistin) über mögliche Wege die Demokratie auf globaler Ebene zu stärken. Moderation: Renato Beck (WOZ)

In dieser Veranstaltung wurde debattiert, wie sich die Macht globaler Konzerne auf nationaler und internationaler Ebene auswirkt. Wie kann die national organisierte Demokratie Staates auf international agierende Unternehmen reagieren?  Franziska Korn ist Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und leitete davor das Büro der FES in Bangladesch. In ihrem Inputreferat erklärte sie, wie bereits im Jahr 2017 Frankreich das «Loi de vigilance» verabschiedete, welches die Unternehmen zur Einhaltung von Menschrechten, Umweltschutz und nachhaltigen Lieferketten verpflichten sollte. Der EU- Entwurf folgte dann im Jahr 2022 und nun im Juni 2023 wurde das EU-Lieferkettengesetz, ähnlich der Forderung der Initiative für Konzernverantwortung in der Schweiz, eingeführt. Ximena González, Menschenrechtsaktivistin und Anwältin aus Kolumbien erzählte von ihrer Arbeit am Tierra Digna Center for Social Justice Studies, bei welchem sie als Gründerin und Co-Direktorin gewirkt hatte. Das Center wurde gegründet, um den Prozess um den Fluss Atrato zu lancieren und zu unterstützen. Zusammen mit ethnischen Minderheiten und lokalen Gemeinschaften dokumentierten sie Umweltverschmutzungen und unkontrollierten Ressourcen – Abbau und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit der Beteiligten. Der Prozess wurde 2017 gewonnen. Jedoch sei die Umsetzung der Gesetze oftmals aufgrund von Korruption sehr schwierig. Seraina Patzen von der Koalition für Konzernverantwortung arbeitet für die Konzernverantwortungsinitiative, die 2020 in der Schweiz zur Abstimmung kam. Die Initiative wurde zwar von einer Mehrheit der Stimmberechtigten angenommen, scheiterte jedoch am Ständemehr. Gemäss Seraina Patzen müssten Firmen am Hauptstandort zur Rechenschaft gezogen werden können, was auch eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung unterstütze.

Handlungsmöglichkeiten
Das EU-Lieferkettengesetz wird in Bälde in Kraft treten und damit wird auch der Druck auf die Schweiz weiter steigen, ein solches Gesetz zu verabschieden. Die Koalition für Konzernverantwortung wird versuchen die Initiative in einzelnen Kantonen nochmals zu initiieren, um durch eine mögliche Annahme in einem Kanton, das Thema auch wieder für die Gesamtschweiz zu lancieren, um z.B. nicht Wettbewerbsnachteile für gewisse Regionen zu schaffen. In Ländern, die eine Klagemöglichkeit gegen Unternehmen haben, sei jedoch eine Art «Flut an Klagen gegen Unternehmen» bisher ausgeblieben, wie das oft von liberaler Seite befürchtet wurde. Es sei auch eine weitere Möglichkeit, laut Gonzales, Naturgebiete die Flüsse als juristische Personen zu deklarieren, um deren Rechte vor Gericht besser einklagen zu können, was sie selbst erfolgreich umgesetzt hatte.

Medien unter Druck?

28. September 2023 | 18.30 | Markthalle Basel

Nach Inputreferaten von Manuel Puppis (Professor für Medienstrukturen und Governance der Universität Fribourg) und Camille Roseau (Co-Präsidentin des Verbands Medien mit Zukunft) diskutierten André Moesch (Telebasel), Andreas Möckli (BZ Basel), Ina Bullwinkel (Bajour) und Alessandra Paone (OnlineReports). Moderiert wurde die Runde von Nick Lüthi (persoenlich.com).

Brechen Qualität und Vielfalt der Medien weg, gerät ein wichtiger Pfeiler der Demokratie ins Wanken. Was sind mögliche Antworten, auch jenseits der politischen Regulierung? Wie sehen lokale Journalist*innen die aktuellen Herausforderungen und die Relevanz des (Lokal)journalismus für die Demokratie? Die Veranstaltung wurde zusammen mit dem Verband Medien mit Zukunft organisiert.

In den Inputreferaten von Professor Manuel Puppis und Camille Roseau wurde deutlich, dass die Medienhäuser der Schweiz dringend finanzielle Mittel brauchen. Die Umstellung von Print auf digitale Versionen hat die Medienlandschaft stark verändert und die Nachfrage nach Zeitungs-Abonnementen ist zurückgegangen. So stehen den Medienhäusern immer weniger finanzielle Mittel zur Verfügung, was zur Folge hat, dass weniger angestellte Journalist*innen versuchen, die gleiche Arbeit, mit gleicher Qualität zu machen. In der Branche häufen sich einerseits Burnouts, jedoch sind andererseits auch gezielte Klagen von Institutionen, die sich gegen Journalist*innen wenden, ein Problem. In der anschliessenden Diskussionsrunde wurde weiter der Nachwuchs- und Fachkräftemangel, sowie die Möglichkeit von Werbeeinnahmen thematisiert.

Handlungsmöglichkeiten
Das letzte Massnahmenpaket zu Gunsten der Schweizer Medien wurde 2022 in einer Volksabstimmung abgelehnt. Sowohl Manuel Puppis als auch Camille Roseau wiesen auf das neue Positionspapier der Eidgenössischen Medienkommission hin, die auf den Wandel in der Medienbranche hinweist und einen Systemwechsel vorschlägt. So soll eine Plattform eingerichtet werden, die vom Bund unterstützt wird, und bei der die Angebote (wie Print, Video oder E-Paper) als gleichwertige Produkte angeboten werden können. Roseau erwähnte die Möglichkeit von Austausch, Synergien und Zusammenarbeit insbesondere z.B. unter kleineren Medienplattformen und den Journalist*innen.

Enttäuschte Bürger*innen und die Reaktion der institutionalisierten Demokratie – Erfahrungen aus drei Ländern.

21. November 2023 | 18.30 | kHaus Basel

Die Diskussionsveranstaltung vom Abend des 21. Novembers im kHaus Basel ging dem Phänomen Politik-enttäuschter Bürger*innen im Dreiland Deutschland, Frankreich und der Schweiz nach. Sie wurde mit einer Begrüssung von Tim Cuénod, Grossrat und Präsident des trinationalen Eurodistrictrates Basel (TeB), eröffnet. Es folgte ein Inputreferat der Politikwissenschaftlerin Dr. Magdalena Breyer, Universität Basel, und eine Diskussion unter den drei Vertretenden der institutionalisierten Demokratie aus dem Dreiland, Jörg Lutz (Oberbürgermeister Lörrach), Martin Leschhorn Strebel (Präsident Einwohnerrat Riehen), und Josiane Chappel (1ère adjointe au maire, Hésingue), moderiert von Claudia Kenan (Regionaljournal SRF).

In ihrem Inputreferat ging die Politikwissenschaftlerin Dr. Magdalena Breyer, Universität Basel, dem Phänomen der Nichtwähler*innen und enttäuschten Demonstrant*innen auf den Grund. In Umfragedaten zeige sich, so Breyer, dass sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland und Frankreich das Vertrauen in die Demokratie und den Staat relativ stabil sei. Enttäuschte Bürger*innen seinen oftmals von realem oder befürchteten Statusverlust betroffen. Ein gesundes Mass an Misstrauen, das offen geäussert werden kann, sei aber auch Zeichen einer demokratischen Stärke.

Ausgegend von den Anti-Corona-Demonstrationen im Dreiland und der Klima-Bewegung erläuterte Lutz, dass sich Bürger*innen entmündigt fühlen können, wenn man ihnen zu viele Regeln auferlege. Jedoch sei die Energiewende und die gesellschaftliche Transformation wichtig und deshalb müsse man in «Graswurzel-Arbeit» mit den Leuten persönlich ins Gespräch kommen. Die gegenwärtige Multi-Krise mit Klimawandel, der erst seit kurzem vergangenen Corona-Pandemie und neuen Kriegen führe zu Verunsicherung in der Gesellschaft. Aber, so schlussfolgerte Lutz, jede Generation müsse sich die Demokratie neu erkämpfen. Leschhorn Strebel äusserte Verständnis dafür, wenn Bürger*innen die Energiewende nicht mittragen könnten, weil es sie z.B. zu viel koste, eine Wärmepumpe zu installieren, darum müsse der Staat finanzielle Anreize schaffen. Während sich gewisse Personen aus den demokratischen Prozessen verabschieden, seien aber auch 40% der Schweizer Bevölkerung mit Migrationshintergrund von den demokratischen Prozessen gänzlich ausgeschlossen. Er wies auch darauf hin, dass im Wort «Wutbürger*in» mit der Wut eine transformatorische Kraft stecke, die bei einem Engagement, in der Politik und bei Projekten in produktive Arbeit umgewandelt werden könnte. Chappel berichtete dazu von ihrem Engagement in Hésingue, mit Fokus auf Partizipationsmöglichkeiten und Erlernen der demokratischen Kultur, etwa im lokalen Kinderparlament.

Handlungsmöglichkeiten
Handlungsmöglichkeiten sahen die Referentin und die VertreterInnen der institutionalisierten Politik im Sensibilisieren bezüglich gesellschaftlicher Aufstiegsmöglichkeiten, in dem Sinne, dass es nicht bedeute, den eigenen Status automatisch zu verlieren, nur weil andere Gruppen auch bessere gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten haben. Weiter liege viel Potential in verstärkter demokratischer Bildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die im demokratischen Aushandeln und Diskutieren gestärkt werden sollen. Ausserdem wurden staatliche Unterstützungsmöglichkeiten gefordert, insbesondere was die Finanzierung der Energiewende und damit verbundene Zusatzkosten für einkommensschwache Haushalte betreffe.

Politik jenseits von links und rechts?
Parteien, Bewegungen und Demokratie in Frankreich seit 2017


30. November 2023 | 19.30 | Online

Mit der Wahl von Emmanuel Macron implodierte im Jahre 2017 das Parteiensystem in Frankreich. Die traditionellen Parteien der Gaullisten und Sozialisten wurden unbedeutend. Ideologische Lagerbindung wurde durch angebliche „Bewegungen“ ersetzt, ihnen gehört heute die politische Bühne. Was ist die Bilanz? Und was sind die Gefahren dieser Entwicklung? Referat und Diskussion mit Dr. Zoé Kergomard, Oberassistentin an der Universität Zürich, moderiert von Simeon Marty, Anny Klawa-Morf-Stiftung.

Zoé Kergomard ging in ihrem Referat auf die Entwicklung in der politischen Landschaft Frankreichs seit 2017 ein. Vor 2017 habe es bei Wechseln in der Regierung jeweils eine Ablösung zwischen linken und rechten Regierungsparteien gegeben. Diese Dynamik des Machtwechsels habe zu einer Erneuerung von Ideen und «frischem Wind» geführt. Da Macrons «Bewegung» nun losgelöst vom Parteispektrum politisiert, habe es diesen klassischen Machtwechsel nicht gegeben. Seine Organisation sowie auch die Regierungsgeschäfte seien sehr stark auf seine Person konzentriert. Teilweise würden ausserdem Gesetze durchgesetzt, die nicht dem Willen der Mehrheit entsprechen würden, wie z.B. bei der Rentenreform. Auch die polizeiliche Repression sei stärker geworden, so dass z.B. das Demonstrieren, in Frankreich sehr beliebt, schwieriger geworden sei. Das Erstarken des Front National habe zu einer Normalisierung der extremen Rechten geführt und auch viele Medienhäuser würden vermehrt «Kulturkampf-Themen» bedienen und konservativer berichten.

Handlungsmöglichkeiten
Gemäss Zoé Kergomard müssten die Parteien wieder vermehrt miteinander diskutieren. Viele Politiker*innen seien sehr vorsichtig geworden und versuchten Konflikte eher zu vermeiden. Kergomard forderte auch eine konkrete Verfassungsrevision, um die Macht des Präsidenten gesetzlich einzuschränken. Auch Zivilpersonen würden jedoch nun versuchen, vor Gericht zu klagen, denn Demonstrieren und ziviles Engagement müsse weiterhin möglich sein. Die staatlichen, finanziellen Mittel sollten ausserdem gerechter verteilt werden. Auch gegen geschlechtsspezifische Gewalt müsse besser vorgegangen werden.