Den Wandel demokratisch gestalten: Klimarat

Artikel
Yihang Xiong

Der aktuelle Sachbestandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), auch Weltklimarat genannt, dem wichtigsten UNO-Ausschuss zum Klimawandel, sagt alarmierend vorher, dass bis zum Jahr 2050 jährlich bis zu 250’000 Todesfälle allein durch extreme Hitzeereignisse als Folge des Klimawandels eintreten könnten. Diese erschreckende Statistik unterstreicht die Dringlichkeit, gegen die Klimakrise vorzugehen. Bisherige Fortschritte bleiben allerdings bescheiden. Liegen die Gründe dafür in der grundlegenden Struktur unserer Demokratien? In der zweiten Online-Veranstaltung des Denknetz und der Anny-Klawa-Morf-Stiftung der Reihe «Den Wandel demokratisch gestalten» diskutierten Prof. Sonia Seneviratne (ETH Zürich), Expertin im IPCC, und Cédric Wermuth, Nationalrat und Co-Präsident der SP Schweiz über die Probleme des aktuellen politischen Systems und mögliche Lösungsansätze, wie Politik und Wissenschaft die Klimakrise demokratisch bewältigen können.

Zunächst stellte Senerivatne ihre Arbeit im IPCC vor: Zu den zentralen Aufgaben des IPCC gehört das Verfassen von Berichten über Klimaveränderungen, die sogenannten Sachstandsberichte. Diese sind quasi der Goldstandard für politisch relevante Informationen und Erkenntnisse über das Klima und dienen als Entscheidungshilfe für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger weltweit. Erstellt werden die IPCC-Berichte von Wissenschaftler*innen im Peer-Review Prozess. Dieser wissenschaftlich unabhängige Prozess im IPCC wird aber auch politisch geprägt: Jede in der UNO vertretene Nation hat das Recht, Kommentare im Bericht zu verfassen, auf die entsprechend reagiert werden muss. Die Lösungen zur Klimakrise liegen für die Klimawissenschaftlerin Senerivatne bereits seit längerem auf der Hand. Die viel zu zögerlichen Umsetzungsschritte erachtet sie deshalb als äusserst frustrierend. Als Teil des Problems identifiziert sie die Strukturen des politischen Systems.

Zukunftsrat gegen die Klimakrise?

Im von ihr mitverfassten Werk «Mit einem Zukunftsrat» bringt Seneviratne unter anderem ihre Kritik an der liberalen Demokratie zum Ausdruck und spricht sich für die Einrichtung eines Bürgerrats aus. Nach Seneviratne zählt zu den wesentlichen Schwierigkeiten des aktuellen parlamentarischen Systems die mangelhafte Repräsentation der Bevölkerung im Parlament. Die Zusammensetzung des Parlaments weist einen deutlich höheren Anteil an Reichen und Älteren auf als in der Gesamtbevölkerung vorhanden. Daraus resultiert häufig, dass die klimapolitischen Massnahmen des Landes sich negativ auf den Lebensstandard der ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsschichten auswirken.

Im Buch wird der Bürgerrat als Alternative zum traditionellen Parlamentssystem vorgestellt. Er zielt darauf ab, die Herausforderung der unzureichenden Repräsentation im Parlament zu adressieren, indem er ein genaueres Abbild der gesellschaftlichen Demografie bietet. Dieses Modell findet bereits in Irland Anwendung, insbesondere zur Lösungsfindung bei Themen, bei denen ein Konsens schwer zu erreichen ist, wie beispielsweise die Abtreibung. Die Vertreter:innen des Bürgerrats werden per Losverfahren bestimmt, wobei die Auswahlkriterien sicherstellen, dass die die verschiedenen demografischen Aspekte, wie Geschlecht Verteilung, Altersstruktur und sozialen Status, widerspiegeln. Dem Rat werden verschiedene Abstimmungsoptionen vorgelegt, und die Option, die die meisten Stimme erhält, wird anschliessend einer Volksabstimmung unterzogen, die letztlich entscheidet.

Dieses System zielt darauf ab, einen demokratischen Weg zur Lösung der Klimakrise zu bieten, indem es die Effizienz der Regierungsstrukturen bei der Gesetzgebung zur Bekämpfung des Klimawandels erhöhen soll. Wenn sowohl die Mitglieder des Bürgerrats als auch die Bevölkerung umfassend über den Klimawandel informiert werden, wären sie laut Senerivatne in der Lage, wirksame und demokratisch abgestützte Massnahmen gegen die Klimakrise zu ergreifen, ohne auf autokratische Befugnisse zurückgreifen müssen, wie es etwa in China der Fall ist.

Weitere Massnahmen

Der Sachstandbericht des IPCCs stellt fest, dass die Klimakrise nicht mit einer einzigen Lösung überwunden werden kann, sondern die gleichzeitige Anwendung eines Bündels von Lösungen notwendig ist. Neben der strukturellen Änderungen des politischen Systemsdurch einen Bürgerrat sind weitere Massnahmen erforderlich, um die Krise zu stoppen. Auf Nachhaken von Wermuth nannte Seneviratne das Verbot von Benzinverkehrsmittel als wichtigste Massnahme. Sie machen einen erheblichen Teil der schädlichen Gesamtemissionen aus – während durch Elektroautos bereits eine zuverlässige und etablierte Alternative existiert.

Neben dem Wechsel von Benzin zu Elektrizität nannte Senerivatne als weitere dringend notwendige Veränderung die Umstellung der Konsumgewohnheiten. Die durchschnittliche Kohlendioxidemissionen einer Person aus der Schweiz betragen vier Tonnen CO2 pro Jahr. Da die Schweiz jedoch viele Industriegüter aus Ländern wie China importiert, steigen die tatsächlichen CO2-Emissionen aufgrund der Konsumentscheidung auf etwa 14 Tonnen. Hier forderte sie ein Umdenken der konsumorientierten Gesellschaft, hin zu einer Reflektion über die Umweltschäden, die durch Konsumentscheide entstehen.

Die Rolle der Schweiz

Neben der Einführung eines Bürgerrats gibt es weitere Schritte, die die Schweiz im Kampf gegen die Klimakrise unternehmen kann. Zwar ist die Schweiz kein grosses Land und ihre Emissionen sind im Vergleich zu Ländern wie den USA oder China gering, doch verfügt sie über erheblichen Reichtum durch ihre Stellung als eines der führenden Finanz- und Versicherungszentren der Welt. Laut Seneviratne könnte dieser Wohlstand genutzt werden, um den Klimaschutz durch Regulierungen bei Investitionen und Versicherungen von Unternehmen in der fossilen Brennstoffindustrie zu fördern. Indem Investitionen in solche Unternehmen erschwert würden, könnte der Übergang zu erneuerbaren Energien beschleunigt werden.

Schluss

Der Klimawandel ist eine der grössten Krisen, mit denen die Menschheit in ihrer Geschichte konfrontiert wurde. Diese Herausforderung betrifft nicht einzelne Länder oder Kontinente, sondern wirkt sich bereits auf das Leben aller Menschen aus. Senerivatne kritisierte mit Nachdruck, dass die Politik zu langsam gegen den Klimawandel handelt. Will sich die Menschheit eine Zukunft auf dem Planeten sichern, braucht es eine konsequentere und effizientere Bekämpfung des Klimawandels.

Über den Autor Yihang Xiong besucht gegenwärtig die Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen.

Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Anny-Klawa-Morf-Stiftung.