buch|essenz – Buchzusammenfassungen
buch|essenz – prägnante Buchzusammenfassungen mit politischer Einordnung ist ein Format der Akademie für Soziale Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Unsere Schwesterstiftung stellt uns diese erarbeiteten Inhalte freundlicherweise zur Verfügung. Hier findet ihr die Buchzusammenfassungen aus dem Jahr 2023.
Yannick Haan (2022): Enterbt uns doch endlich! Wie das Erben meine Generation zerreißt
Die soziale Spaltung in Deutschland vertieft sich weiter. Mehr noch: Sie beginnt, die Gesellschaft zu zerreißen, da die Verteilung finanzieller Ressourcen auch Auswirkungen auf die Verteilung von persönlichen und gesellschaftlichen Gestaltungschancen hat. Enorme Dynamik erhält diese Spaltung durch die großen Ungleichheiten bei der Verteilung von Erbschaften. Der in den letzten Jahren zu beobachtende enorme Fluss von Vermögen zwischen den Generationen ist ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung der Lebenssituationen in der jüngeren Generation. Dies gilt mit Blick auf die allgemeine finanzielle Sicherheit, aber angesichts steigender Mieten etwa auch sehr konkret in Bezug auf die Möglichkeiten des Lebens und Arbeitens in den Ballungsräumen. Gesellschaftlich ist das Ausmaß dieser Chancenungleichverteilung beim Generationenwechsel nach wie vor viel zu wenig im Focus. Haans Plädoyer, Erben „auf beiden Seiten“ stärker zum Thema zu machen, könnte ein interessanter Impuls für die weitere Diskussion sein.
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Gertrude Lübbe-Wolff (2023): Demophobie. Muss man die direkte Demokratie fürchten?
Die direkte Demokratie ist eine wichtige und sinnvolle Ergänzung der repräsentativen Demokratie. Die meisten Einwände gegen sie entpuppen sich bei näherer Betrachtung als unbegründet. Volksentscheide fördern die öffentliche Debatte über Sachfragen, stärken die Selbstbestimmung und sichern die Unterstützung der Demokratie durch die Bevölkerung. Die Gegnerschaft gegenüber der direkten Demokratie resultiert meist aus einer grundsätzlichen Demokratieskepsis. Gerade in schwierigen Zeiten wie heute, in denen viele Bürger_innen ein wachsendes Misstrauen gegenüber der etablierten repräsentativen Demokratie entwickeln, wäre es im wohlverstandenen Interesse Deutschlands, Volksentscheide auch auf Bundesebene zuzulassen.
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Thomas Piketty (2022): Eine kurze Geschichte der Gleichheit
Ungleichheit ist eine soziale, historische und politische Konstruktion. Jeder Wohlstand der Menschheit ist das Ergebnis kollektiver Prozesse und hängt von der internationalen Arbeitsteilung, der Nutzung natürlicher Ressourcen und der Akkumulation von Wissen ab. Obwohl seit dem späten 18. Jahrhundert eine Tendenz hin zu mehr Gleichheit zu beobachten ist, konnte diese auch in heutigen repräsentativen Demokratien noch nicht vollständig verwirklicht werden. Eine Schlüsselrolle in der Geschichte der Gleichheit spielen soziale Kämpfe, meist gegen den Widerstand der Eliten. Wichtig ist jedoch auch die Frage nach gerechten Institutionen. Egalitäre Debatten sind ernst zu nehmen und im Idealfall durch eine kollektive Mobilisierung zu klären. Piketty liefert wichtige Analysen über die Verteilung des globalen Reichtums im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte, die mit zahlreichen anschaulichen Statistiken untermauert werden. Besonders wertvoll erscheint der Fokus auf den bedeutenden Einfluss des Kolonialismus, der bis in die heutige Zeit reicht. Der von Piketty präsentierte breite Katalog an möglichen Maßnahmen beinhaltet konkrete Vorschläge und Anreize dafür, wie diese Szenarien politisch zu realisieren wären.
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Philipp Staab (2022): Anpassung. Leitmotiv der nächsten Gesellschaft
Angesichts der Krisen unserer Gegenwart hat sich gezeigt, dass soziale Ungleichheit immer weiter wächst. Die Betroffenen, die für einen Wandel demonstrieren, setzen mittlerweile nicht mehr darauf, dass das fundamentale Ungleichgewicht innerhalb der Gesellschaft mithilfe demokratischer Teilhabe und Repräsentation wieder ins Lot gebracht werden kann. Stattdessen wünschen sie sich, was die Verteilung öffentlicher Güter und den Fortbestand des Planeten betrifft, ein quasi-autoritäres Durchregieren. Für die Soziale Demokratie hält diese Zeitdiagnose ein weiteres Schockmoment bereit: Praktiken der Anpassung werden angesichts multipler Krisen immer wichtiger und ermöglichen damit eine Form des Widerstands gegen den Stress, den der Kapitalismus uns allen zufügt. Das hat aber zur Folge, dass sie sich schließlich gegen die Maxime der Emanzipation selbst richten. Von dieser wird sich eine adaptive Gesellschaft zunehmend verabschieden müssen.
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Ulrike Herrmann (2022): Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden
Ob der Klimawandel allein durch technologische Innovationen erfolgreich bekämpft werden kann, ist nicht klar. Wind- und Sonnenenergie, Wasserstoff oder Batterien lassen sich nicht ohne Weiteres in den notwendigen Größenordnungen produzieren. Was aber passiert, wenn die ökologischen Probleme unserer Zeit nicht durch Technologie gelöst werden können? In diesem Fall wird der Kapitalismus als Wirtschaftssystem selbst transformiert werden müssen: Anstelle von immerwährendem Wachstum müssen Produktion und Konsum schrumpfen. Ulrike Herrmann plädiert nicht für eine pauschale Ablehnung des Kapitalismus. Ihr geht es vielmehr darum zu erklären, was Transformation konkret bedeutet, wenn technologische Innovation allein nicht ausreicht, um den Klimawandel zu stoppen und eine nachhaltige Wirtschaft zu schaffen – und sie will die Gesellschaft auf die Folgen einer solchen Umstellung vorbereiten. Wenn die ökologische Frage immer mehr zu einer Verteilungsfrage wird, müssen Ressourcen wie Energie und Arbeitskraft ähnlich wie in einer Kriegswirtschaft dorthin gelenkt werden, wo sie zur Befriedigung zentraler Bedürfnisse der Menschen sowie zum Erhalt einer intakten Natur und zur Sicherung des Klimas benötigt werden. Dabei stellt sich die klassische Verteilungsfrage zwischen Arm und Reich nicht nur lokal, sondern global.
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Lukas Haffert (2022): Stadt, Land, Frust. Eine politische Vermessung
Der Konflikt zwischen Stadt und Land wird auch in Deutschland immer schärfer. Welche Rolle diese Distanz mittlerweile in der Politik spielt und was es tatsächlich auf sich hat mit der inhaltlichen Ferne der Bundespolitik von den Belangen ländlicher Regionen, ist Teil dieser politischen Vermessung. Während die Kluft zwischen den urbanen Zentren und der Peripherie zunimmt, versuchen die Parteien immer stärker, die lokalen Identitäten der Bürger_innen politisch zu mobilisieren. Mehr noch erkennt der Autor den Versuch, diesen Gegensätzen politische Sprengkraft zu verleihen. Die Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse für alle Bürger_innen ist ein zentraler Handlungsauftrag des Grundgesetzes an die Politik der föderalen Bundesrepublik. Ein wichtiges Anliegen gerade der Sozialen Demokratie ist die Stärkung einer Gesellschaft, deren Mitglieder ihre Lebensbedingungen in demokratischer Weise gemeinsam so gestalten, dass alle Beteiligten in allen Teilen des Landes eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand und am öffentlichen Leben haben können.
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Mareile Pfannebecker/James A. Smith (2022): Alles ist Arbeit. Mühe und Lust am Ende des Kapitalismus
Mareile Pfannebecker und James A. Smith beleuchten die Gegenwart und die Zukunft von Arbeit im sogenannten Spätkapitalismus. Die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit verschwinden laut den Autor_innen immer stärker, doch mit der Zunahme dessen, was zu Arbeit wird, werden gleichzeitig viele Arbeitsbiografien immer prekärer. Wie viele andere linke Autor_innen kritisieren Mareile Pfannebecker und James A. Smith die Neoliberalisierung des Arbeitsmarktes. Seitdem verschwimmt der Unterschied zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit immer weiter, und doch können immer weniger Menschen mit ihrer Arbeit überhaupt den minimalen Lebensstandard halten – ein Missstand, der gerade für die Soziale Demokratie schwer wiegt. Das Plädoyer der Autor_innen für eine radikale Freiheit in der Gestaltung des postkapitalistischen Lebens verweist auf ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit, Solidarität und Autonomie. Eine Politik der Sozialen Demokratie darin zu verorten, wird eine -wenn nicht die zentrale- politische Aufgabe für die Zukunft sein.
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Pia Lamberty und Katharina Nocun (2022): Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik
Die Esoterik ist weit verbreitet und gefährlich. Für ihre Anhänger_innen birgt sie gesundheitliche Risiken in sich, da wirksame Medizin verteufelt wird und stattdessen nutzlose oder sogar schädliche Präparate empfohlen werden. Darüber hinaus kann sie zu Entmündigung, Opferumkehr und Sektenabhängigkeit führen. Doch auch für andere Menschen besteht Gefahr. Denn viele Esoteriker_innen neigen dazu, in antisemitische und rechtsextreme Positionen abzudriften. Das Buch klärt über die Gefahren einer Szene auf, die in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet oder unterschätzt werden. Hinter grün-naturverbundener und spiritueller Rhetorik verbergen sich oft handfeste kommerzielle bzw. politische Interessen und ein Weltbild, das im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit steht.
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Golineh Atai (2021): Iran – die Freiheit ist weiblich
Durch ihre persönlichen Schicksale sowie anhand wichtiger historischer Eckpunkte wird nachgezeichnet, wie das Mullah-Regime seit Jahrzehnten alle demokratischen Bestrebungen in Iran unterdrückt und wie die Bevölkerung unter der Verletzung elementarer Menschenrechte, Folter und Hinrichtungen leidet. Zugleich wird damit auch die Geschichte des Widerstands und insbesondere der Frauenbewegung in Iran erzählt. Die Auswirkungen des brutalen Regimes auf das Leben der Menschen in Iran werden deutlich und politische Verantwortungsübernahme wird eingefordert.
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Teresa Bücker (2022): Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit
Teresa Bücker benennt in ihrem Buch den Umgang mit der Ressource Zeit als zentrales Problem moderner Gesellschaften. Für sie ist es eine Frage der Gerechtigkeit, wie diese Ressource verteilt ist, wie ihr Wert bemessen wird und wie sie genutzt und erlebt werden kann. Somit muss eine Vision für eine neue Zeitkultur die Machtstrukturen, die hinter dieser ungleichen Verteilung stecken, mitdenken und verändern. Teresa Bückers macht die Bedeutung von Zeit als einer politischen und kulturellen Größe deutlich und zeigt ihre Bedeutung für die Teilhabe am demokratischen Leben auf. Vor diesem Hintergrund fordert Bücker eine Umverteilung von Sorgearbeit sowie eine Abkehr von einer reinen Ausrichtung auf Erwerbsarbeit.
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Alexander Bogner (2021): Die Epistemisierung des Politischen
(Experten-)Wissen ist zur zentralen Ressource spätmoderner Gesellschaften geworden. Wissen und Expertise rücken in den Vordergrund und Evidenz spielt eine zentrale Rolle. Bogner beschreibt, dass „in der Politik wissenschaftliche Expertise als zentrale Legitimationsressource geschätzt wird, und entsprechend (Experten-)Wissen die höchste Entscheidungsinstanz in vielen politischen Kontroversen geworden ist“. Das Vertrauen in die Macht des Wissens kann demokratiepolitische Folgen haben. Politische Krisen und Konflikte werden als epistemische Probleme verstanden, bei denen es einzig um die Frage von Wissen und Expertise geht. Bogner bezeichnet dies als Epistemokratie. Es wird davon ausgegangen, dass politische Probleme erst lösbar sind, wenn sie als Wissensprobleme formuliert werden. Alexander Bogner sieht die soziale Demokratie durch die Epistemisierung des Politischen gefährdet. Eine zu starke Fokussierung auf Wissensfragen bei politischen Auseinandersetzungen, wie zu den Corona-Maßnahmen, dem Klimawandel oder der Impfdebatte, führen dazu, dass normative Aspekte und Werte aus dem Blick verloren gehen und das eigentliche Grundproblem unberührt bleibt.
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Armin Pfahl-Traughber (2022): Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten
Der Rechtsextremismus fasst wieder Fuß – nicht nur auf den Straßen, auch zwischen den Buchdeckeln. Das Fazit von Pfahl-Traughbers Überlegungen und Darstellungen liefert Handlungsorientierung: Angebracht ist weder eine dramatisierende Sicht auf die Neue Rechte noch eine ignorierende Verharmlosung. Bislang hält sich die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Neuen Rechten in engen Grenzen. Weder in der breiten Öffentlichkeit noch im politischen Rechtsruck spielen sie eine prägende Rolle. Dies gilt aufgrund des dazu fehlenden intellektuellen wie persönlichen Formats auch für die wissenschaftlichen und universitären Sphären. Die Bedeutung der Neuen Rechten und das Gefahrenpotenzial sollte weder verharmlost, aber auch nicht dramatisiert werden. Darüber mag man froh sein, ein Grund zur Beruhigung ist das nicht.
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Natascha Strobl (2021): Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse
Auf der Basis einer traditionell konservativen Partei haben Vertreter des „Radikalisierten Konservatismus“ wie Sebastian Kurz und Donald Trump eine Bewegung geschaffen, deren politische Gefolgschaft einer Fangemeinde gleicht. Mithilfe von Tabubrüchen und Radikalisierung der Rhetorik zielen beide darauf ab, den traditionell demokratischen Diskurs zu zerstören, um einen permanenten Wahlkampfmodus zu etablieren. Der fortwährend erhobene Vorwurf, missliebige Berichterstattung seien Fake News, erzeugt hierbei eine Gegenrealität. In dieser Gegenrealität tobt ein sich auf alle Bereiche des Lebens erstreckender Kulturkampf, bei dem der Regierungschef entweder Opfer einer üblen Kampagne oder gemäß eigens lancierter Darstellungen der strahlende Held ist. Im Rahmen der Gegenrealität werden Gegner – auch Repräsentanten demokratischer Institutionen – systematisch verunglimpft, um die Macht zu erhalten oder auszubauen. Natascha Strobl bietet einen guten Überblick über die Vorgehensweisen eines neuen, extremeren Konservatismus. Es wird detailreich aufgeschlüsselt, wie z. B. die Regierungschefs Trump und Kurz versuchten, systematisch den Staat und die Medien zu unterwandern oder auszuhöhlen, um so ihre Machtbefugnisse auszudehnen. Dabei werden zeitgenössisch-intuitive Beobachtungsaspekte um eine strukturelle Analyse erweitert. Das Aufzeigen der teils perfiden Methoden schafft ein besonderes Bewusstsein in Bezug auf den Umgang mit Vertretern des „Radikalisierten Konservatismus“.
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Johannes Pantel (2022): Der Kalte Krieg der Generationen. Wie wir die Solidarität zwischen Jung und Alt erhalten
Der demografische Wandel spitzt sich fortwährend zu. Insbesondere der unmittelbar bevorstehende Renteneintritt der Babyboomer-Generation wird erhebliche Finanzierungsprobleme für Folgegenerationen zeitigen. Darüber hinaus sind das Hinterlassen horrender Staatsschulden und die Klimakrise weitere Probleme, die aus Sicht vieler junger Menschen zugleich Zeugnisse dafür sind, dass die Älteren über ihre Verhältnisse gelebt haben. Das Ergebnis ist ein bevorstehender Ressourcenkampf, der die Solidarität zwischen Jung und Alt aufzubrechen droht sowie die Überlebenschancen und die Lebensqualität alter Menschen immens mindern könnte. Dazu trägt vor allem auch die verbale Aufrüstung im Generationenkonflikt durch populistische Parolen bei. Abhilfe kann das Korrigieren falscher Altersbilder und die Bereitschaft zu neuen Dialogen zwischen den Generationen schaffen. Im Rahmen eines neuen Dialogs der Generationen wird es entscheidend darauf ankommen, weniger die vermeintlichen Interessengegensätze, sondern vielmehr gemeinsame Interessenlagen verstärkt in den Blick zu nehmen. Der Generationengerechtigkeit gilt erst dann als verwirklicht, wenn die Chancen der Nachfolgegeneration mindestens genauso groß sind wie die der vorausgehenden.