Blogbeitrag zu «Von der Kritik zur Verschwörung – Gefahr für die Demokratie?»

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Am 13. November 2024 diskutierten Prof. Oliver Nachtwey von der Universität Basel und die Publizistin Katharina Nocun im Royal Baden zum Thema «Von der Kritik zur Verschwörung – Gefahr für die Demokratie?». Moderiert wurde das spannende Gespräch von Corin Kraft (Kulturwissenschaftlerin, FHNW). Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Verschwörungserzählungen die Demokratie und gesellschaftliche Diskurse beeinflussen.

Katharina Nocun zeigte auf, wie Verschwörungserzählungen gezielt Feindbilder schaffen und die Gesellschaft polarisieren. Solche Narrative werden häufig von extrem rechten Gruppierungen genutzt, um Menschen zu mobilisieren. Dabei werden komplexe Sachverhalte auf einfache Erklärungsmuster reduziert, bei denen eine geheime Gruppe als Gegner konstruiert wird. Diese Dynamik hat gefährliche Folgen: Faktenchecks werden delegitimiert, Gewalt wird gerechtfertigt und der gesellschaftliche Diskurs wird vergiftet. Nocun erinnerte daran, dass solche Mechanismen historisch tief verwurzelt sind, etwa in der Propaganda des Nationalsozialismus, und auch heute eine ernste Bedrohung darstellen, wie etwa während der Corona-Pandemie deutlich wurde.

Prof. Oliver Nachtwey beleuchtete die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die Verschwörungstheorien begünstigen. Nachtwey betonte, dass Verschwörungsnarrativen teilweise durchaus legitime Sozialkritik zugrunde lege. Diese Formen von Gegenwissen gerieten dann auf die schiefe Bahn, wenn Sie hinter den kritisierten Autoritäten und Strukturen geheime Machenschaften und elitäre Interessensgruppen sähen. Er erklärte, dass so legitime Kritik an Machtstrukturen oft als Ausgangspunkt für Verschwörungstheorien dient, aber diese Kritik in Verschwörungsideologien dann in vereinfachte und feindliche Erzählungen umschlägt, die komplexe Realitäten vereinfach und verzerren.

Als Erklärungsansatz für die derzeitige Popularität von Verschwörungserzählungen nannte er das Konzept der «Polykrise», mit deren sich Demokratien heutzutage konfrontiert sehen. Der Begriff bezeichnet eine Überlagerung zahlreicher Krisen wie Pandemie, Klimawandel und geopolitischen Konflikten, die bei vielen Menschen Ohnmachtsgefühle auslösen. Dieses Gefühl wird durch wirtschaftliche Ungleichheiten und den Verlust des Wohlstandsversprechens, vor allem in abgelegenen und vernachlässigten Regionen, verstärkt.

Ein weiterer Schwerpunkt war die Rolle der sozialen Medien. Katharina Nocun erläuterte, wie Plattformen wie YouTube und Telegram durch Algorithmen und psychologische Mechanismen die Verbreitung von Verschwörungserzählungen fördern. Diese schaffen Echo-Kammern, in denen Radikalisierung und die Bindung an extreme Positionen verstärkt werden. Während einige Plattformen auf gesellschaftlichen Druck reagiert haben, verschärfen andere, wie X (ehemals Twitter) unter CEO Elon Musk, das Problem aktiv. Nocun betonte, dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Macht dieser Plattformen und ihrer Besitzstrukturen viel zu spät begonnen hat.

Die Diskussion zeigte, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien massiv gefährdet ist. Nachtwey und Nocun plädierten für mehr Zivilcourage und die Entwicklung positiver Visionen, um dem etwas entgegenzusetzen. Medien sollten bewusster mit radikaler Sprache umgehen, und die Politik müsse durch Selbstkritik und Transparenz wieder Vertrauen gewinnen.

Auch die Rolle der*s Einzelnen wurde betont: Solidarität, Austausch und Engagement seien entscheidend, um demokratische Werte zu stärken.  Obschon wir als Individuen allein bei systemischen Problemen nicht grundlegende Veränderungen schaffen könnten, sollten wir diverse Freundschaften pflegen, intellektuell offen bleiben für andere Meinungen, und sich auch mal korrigieren lassen, meinte Prof. Nachtwey. Katharina Nocun betonte die Notwendigkeit von Solidarität, Zivilcourage und Care-Arbeit: Für den Kampf gegen Verschwörungstheorien und rechtsextreme Ideologien brauche es Menschen, die Lust und Energie haben, sich zu engagieren. Aktivist*innen, gerade weiblich und queer gelesene Menschen, schlage dermassen Hass und Gewalt entgegen, dass dieses Engagement zunehmend schwieriger werde. Diesen Menschen den Rücken zu stärken sei daher essentiell.

Die Veranstaltung war Teil der Reihe «Baustellen der Demokratie», die sich den aktuellen Herausforderungen demokratischer Systeme widmet. Unterstützt wird die Veranstaltungsreihe von der Stiftung Mercator Schweiz und dem Swisslos-Fonds des Kantons Aargau.