Widerstand denken in autoritären Zeiten

Artikel
Dr. Sarah Vanessa Losego

Zusammenfassung und Kommentar zur Online-Veranstaltungsreihe «Auf dem Weg in die illiberale Demokratie».

Einleitung

Seit einigen Jahren lässt sich in der politischen Landschaft zahlreicher demokratisch verfasster Gesellschaften weltweit ein Phänomen beobachten, das zunehmend in den Fokus der medialen Öffentlichkeit rückt: Autoritäre und populistische Bewegungen gewinnen an Einfluss, demokratische Institutionen geraten unter Druck und digitale Räume befördern Radikalisierungsprozesse, die einst am gesellschaftlichen Rand verortet waren. Die dreiteilige Online-Reihe, die vom Verein Denknetz in Zusammenarbeit mit der Anny-Klawa-Morf-Stiftung organisiert wurde, widmet sich diesen Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie zeigt auf, wie ökonomischer Wandel, soziale Unsicherheit und kulturelle Konflikte zunehmend in autoritäre Antworten münden.

In seinem Beitrag analysiert der in den USA lehrende Politikwissenschaftler Herbert Kitschelt die strukturellen und ideologischen Grundlagen populistischer Bewegungen im transatlantischen Vergleich. Er macht deutlich, wie wirtschaftliche Umbauprozesse, Bildungsgefälle und bestimmte Institutionen politischer Repräsentation rechte Formierungen begünstigen. Die Soziologin Veronika Kracher legt in ihrer Analyse den Fokus auf digitale Radikalisierung und zeigt am Beispiel der sogenannten „Manosphere“, wie Antifeminismus als Bindeglied zwischen persönlicher Frustration und politischer Gewalt fungiert. Lia Becker schliesslich berichtet über die aktuelle politische Lage in Deutschland. Sie benennt autoritär-neoliberale Projekte innerhalb der CDU unter Friedrich Merz und warnt vor der gesellschaftlichen Normalisierung faschistischer Positionen.

Gemeinsam zeichnen die drei Analysen das Bild einer politischen Gegenwart, in der sich populistische, antifeministische und faschistische Tendenzen gegenseitig verstärken und progressive Kräfte herausfordern. Indem sie diese Phänomene nicht isoliert betrachten, sondern als Ausdruck eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels, bieten die Beiträge wichtige Impulse für die Frage, wie demokratische, solidarische und emanzipatorische Antworten auf autoritäre Entwicklungen aussehen können.

Populismus als Symptom: Gesellschaftliche Spaltungen und autoritäre Versuchungen

Herbert Kitschelt, Professor für Internationale Beziehungen an der Duke University in North Carolina, USA, beschreibt Populismus als ein flexibles politisches Konzept, das verschiedene Inhalte aufnehmen kann, jedoch stets auf fünf grundlegenden Annahmen basiert: dem Gegensatz zwischen Volk und Elite, der Dämonisierung dieser Elite, einem majoritaristischen Politikverständnis ohne rechtsstaatliche Schranken, einfachen Erklärungs- und Lösungsmustern sowie häufig der Führung durch charismatische Persönlichkeiten. Populistisches Denken ist stets vereinfachend und konfrontativ.

Die Unterscheidung zwischen Rechts- und Linkspopulismus basiert gemäss Kitschelt auf drei Dimensionen: ökonomische Verteilung (Umverteilung durch den Staat bei linkem Populismus), gesellschaftliche Ordnung (libertär vs. autoritär) und Zugehörigkeit (kosmopolitisch vs. partikularistisch). Rechter Populismus verbindet den Schutz des Privateigentums und autoritäre, patriarchale Werte mit sozialer Exklusion und nationalistischer Politik, während linker Populismus vorrangig die wirtschaftliche Ungleichheit thematisiert.

Donald Trumps Wahlerfolg ist für Kitschelt kein politischer Zufall, sondern Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche in den USA. Dazu zählen die technologische Transformation des Arbeitsmarktes, die Erosion von Berufen mit mittlerer Qualifikation (insbesondere im verarbeitenden Gewerbe) sowie die unzureichende soziale Absicherung vieler Menschen. Verstärkt wird diese Entwicklung durch historisch gewachsene Rassenspannungen und die politische Mobilisierung der evangelikalen Bewegung, die patriarchale Strukturen verteidigt und eine zentrale Rolle im Rechtspopulismus spielt.

Der Vergleich mit Europa zeigt sowohl Parallelen als auch deutliche Unterschiede. Zwar ähneln sich die Ursachen wie Bildungsgefälle, ökonomische Unsicherheit und der Rückzug des Sozialstaats, doch sind in Europa religiöse und patriarchale Themen weniger ausgeprägt. Auch institutionelle Unterschiede, wie das „Winner-takes-all“-Prinzip in den USA, begünstigen dort die Konzentration politischer Macht und erleichtern populistischen Kandidaten den Aufstieg erheblich.

Zentrale Bruchlinien, die Menschen heute zu rechtspopulistischen Parteien treiben, sind laut Kitschelt nicht mehr primär Einkommen oder Besitz, sondern vor allem Bildungsniveau und Geschlecht. Frauen sind durch höhere Bildung und Sozialisation oft besser auf die postindustrielle Gesellschaft vorbereitet. Soziale Medien tragen zur Verstärkung populistischer Tendenzen bei, insbesondere durch Echokammern, wobei die Forschung hierzu widersprüchlich ist. Kitschelt sieht in der sozialen Unsicherheit unserer Zeit einen Nährboden für populistische Bewegungen, deren Anklage der etablierten Parteien zwar auf reale Missstände verweist, jedoch keine tragfähigen Lösungen bietet. Die klassische Linke steht dabei vor der Herausforderung, ihren inneren Pluralismus anzuerkennen und politische Themen zu setzen, die breite Bevölkerungsschichten direkt betreffen, etwa fehlender Wohnraum, steigende Mieten, Bildungsdisparität oder soziale Unsicherheit. Nur so könne sie dem Aufstieg des Rechtspopulismus glaubwürdig entgegentreten.

Radikalisierung im digitalen Raum: Antifeminismus als Einfallstor der extremen Rechten

Veronika Kracher, Soziologin und Expertin für Antifeminismus und Rechtsextremismus im digitalen Raum, analysiert seit 2015 Online-Radikalisierungsprozesse, insbesondere die Alt-Right-Bewegung und die sogenannte „Manosphere“. Diese bezeichnet eine lose Vernetzung antifeministischer Gruppierungen im Internet, darunter Pick-Up-Artists, Männerrechtler, Väterrechtsbewegungen und Incels. Während nicht alle Gruppen rechtsextrem sind, ist Antifeminismus ein ideologischer Grundpfeiler der extremen Rechten. Kracher betont, dass Antifeminismus häufig als Einstieg in weitergehende Radikalisierung dient.

Die Incel-Bewegung (involuntary celibates) entstand ursprünglich als Selbsthilfegruppe, entwickelte sich jedoch zu einer frauenfeindlichen, gewaltverherrlichenden Online-Subkultur. In ihren anonymen Foren dominieren Misogynie, Selbsthass und die Glorifizierung von Attentätern. Incels glauben, Frauen bevorzugten nur die attraktivsten Männer („Chads“) und dächten ausschließlich «hypergam». «Hypergamie» beschreibt die Tendenz, bei der Partnerwahl einen Partner zu bevorzugen, der im sozialen Status, Einkommen oder anderen attraktiven Eigenschaften höhergestellt ist. Auffällig ist eine hohe psychische Belastung unter Incels, die sich in Selbsthass, Depressionen und körperbezogenen Wahrnehmungsstörungen ausdrückt, die teilweise in Selbstverletzung oder riskante Schönheitsoperationen münden. Der Weg von psychischem Leid zur Gewaltbereitschaft verläuft laut Kracher über digitale Echokammern und stochastischen Terrorismus, in denen Gewalt gegen Frauen normalisiert und verherrlicht wird.

Weibliche Incels („Femcels“) unterscheiden sich deutlich: Während männliche Incels Hass auf Frauen externalisieren und zu Gewalt aufrufen, richten Femcels ihre Frustration stärker gegen sich selbst. Zudem sind Erfahrungen sexueller Gewalt ein häufiges Thema unter Femcels, während männliche Incels meist ihre eigene Zurückweisung durch Frauen thematisieren.

Die Incel-Ideologie ist in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen verwurzelt und überschneidet sich mit rechtsextremen Narrativen, insbesondere bei Themen wie Geschlechterrollen und Frauenhass. Kracher beobachtet, dass Begriffe und Denkweisen aus der Incel- und Manosphere-Sprache zunehmend in den politischen Mainstream vordringen. Auch rechte Parteien und Persönlichkeiten wie Donald Trump oder die deutsche AfD bedienen sich misogyner Codes und antifeministischer Rhetorik, was die gesellschaftliche Verrohung verstärke.

Zur Bekämpfung dieser Tendenzen fordert Kracher die Kombination aus einer konsequenten Entfernung radikaler Inhalte aus den sozialen Medien, gendersensibler Bildungsarbeit in Schulen und Behörden, politischer Förderung feministischer Projekte sowie antifaschistischer und feministischer Organisation. Dabei ist es laut Kracher entscheidend, Feminismus, Antifaschismus und Antikapitalismus als gemeinsame Kämpfe zu begreifen, um einer global erstarkenden rechten Bewegung wirksam entgegenzutreten.

Am Kipppunkt: Aufstieg der AfD und die autoritäre Transformation Deutschlands

Lia Becker, Referentin für Zeitdiagnose und Sozialismus bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, erkennt in der aktuellen politischen Lage in Deutschland eine gefährliche Entwicklung in Richtung hin zu autoritären und neofaschistischen Strukturen und Ideologien. Die AfD konnte bei den letzten Bundestagswahlen im Februar 2025 massiv zulegen und ist nun hinter der CDU zweitstärkste Kraft. Die Partei profitiert von einem verbreiteten Gefühl sozialer Unsicherheit und einem Vertrauensverlust ins lokale und nationale Politikestablishment. Besonders besorgniserregend ist laut Becker nicht nur der wachsende Zuspruch unter jungen Menschen, sondern dass Teile der AfD-Agenda inzwischen von anderen Parteien, insbesondere der Union, übernommen werden. Gemäss Beckers Analyse fällt diese Entwicklung mit einer doppelten Führungskrise im «neoliberalen Machtblock» zusammen: der mangelnden Fähigkeit zur dynamischen Erneuerung der Produktions- und Lebensweise sowie zur Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Konsenses. Die sozial-ökologische Wende der Ampelregierung ist weitgehend gescheitert, während soziale Ungleichheit wächst.

Unter Friedrich Merz versucht die CDU, sich als führende Kraft eines autoritär-neoliberalen Projekts neu aufzustellen. Dieses verfolgt eine wirtschaftsliberale Austeritätspolitik, setzt auf Standortnationalismus und eine harte Migrationspolitik. Becker verweist jedoch auch auf Bruchlinien innerhalb des bürgerlichen Lagers, die sich in Spannungen zwischen neoliberalen Hardlinern, moderateren konservativen Kräften und einem wirtschaftsliberalen Antifaschismus zeigen. Während Teile der Union eine klare Abgrenzung zur AfD fordern, setzen andere auf Annäherung oder taktische Kooperation.

Gleichzeitig unterstreicht Becker die Gefahr faschistischer Tendenzen besonders in Ostdeutschland, wo die AfD zunehmend gesellschaftliche Deutungsmacht gewinnt. Einschüchterungen und Alltagsrassismus nehmen zu. Die AfD ist zwar (noch) nicht mehrheitsfähig, doch laut Beckers Diagnose verfestigt sich die autoritär-populistische Stimmung in Deutschland. Das soziale Klima wird von Abstiegsängsten, Verunsicherung und einer aggressiven Kulturkampfrhetorik geprägt.

Lia Becker warnt davor, dass die derzeitigen Entwicklungen die Grundlage für eine autoritäre Transformation des neoliberalen Staates bilden könnten, bei der demokratische Grundrechte und sozialstaatliche Errungenschaften weiter ausgehöhlt würden. Entscheidend wird sein, ob eine soziale und antifaschistische Gegenbewegung entsteht, die die Spaltung und Fragmentierung der progressiven Kräfte überwindet und wirksame Alternativen zum autoritär-neoliberalen Krisenmanagement bietet. Becker plädiert dafür, dass eine solche Gegenbewegung über symbolischen Protest und kurzfristige Wahlstrategien hinausgehen müsse. Notwendig sei ein demokratischer und sozialer Antifaschismus, der die Demokratie- mit der Klassenfrage verbinde, feministische und antirassistische Perspektiven integriere und konkrete Transformationspfade hin zu einer solidarischen, ökologisch-sozialistischen Gesellschaft aufzeige.

Ausblick: Widerstand als geteilte Verantwortung

Die drei Analysen zeigen eindrücklich, dass autoritäre Dynamiken, Radikalisierung im digitalen Raum und soziale Spaltungen keine isolierten Phänomene sind, sondern miteinander verwoben auf die demokratische Substanz von Gesellschaften zielen. Doch sie verweisen zugleich auf die Handlungsspielräume, die für Alternativen, Widerspruch, Protest und Verteidigung bestehen.

Die us-amerikanische Journalistin und Publizistin Rebecca Solnit hat in ihren Arbeiten immer wieder betont, dass Widerstand und Wandel nicht nur in großen historischen Zäsuren entstehen, sondern in der Akkumulation zahlloser, unübersichtlicher und unvorhersehbarer Momente, in denen Menschen sich weigern, die Normalisierung von Unrecht hinzunehmen. Handlungen wirken oft weit über ihr unmittelbares Ziel hinaus, sie haben unabsehbare Folgen und können in ungeplante Ergebnisse münden. Wenn man sich das vor Augen hält, ist das ein Grund, nach ethisch verantwortungsvollen Prinzipien zu leben und in der Hoffnung zu handeln, dass das, was man tut, auch langfristig von Bedeutung ist. Solnit beschreibt zivilen Ungehorsam daher nicht allein als wichtiges strategisches Instrument, sondern als Ausdruck einer grundsätzlichen persönlichen Haltung: der Weigerung, die eigenen moralischen Maßstäbe zugunsten politischer Bequemlichkeit zu suspendieren.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage nach demokratischer Selbstbehauptung neue Dringlichkeit. Ziviler Ungehorsam, solidarische Allianzen und kulturelle Gegenöffentlichkeiten können Räume schaffen, in denen autoritäre, partikularistische und konfrontative Erzählungen nicht unwidersprochen stehen bleiben. Solnit erinnert daran, dass Hoffnung keine naive Beschwörung ist, sondern die bewusste Entscheidung, die Zukunft als umkämpftes politisches Terrain zu begreifen.

In Anbetracht wachsender autoritärer Versuchungen bleibt es eine zentrale Aufgabe, den Mut zu teilen, sich einzumischen, Widerspruch zu riskieren, komplexe Antworten gegen die Vereinfachungen populistischer, antifeministischer und rechtsradikaler Weltanschauungen zu verteidigen, Gegenbewegungen zu stärken und demokratische wie emanzipatorische Projekte nicht als linearen Fortschritt, sondern als situative Anstrengung zu verstehen; einer Anstrengung, die sich in alltäglichen Handlungen der Resistenz, des Respekts, der Verweigerung, der Solidarität, der Verteidigung und des Mitgefühls zeigt und immer wieder neu begonnen werden muss.